Partizipatorische Bürgerbeteiligung: Voll daneben! Schlüsselprojekt: Neubebauung Grundstück ehemalige Schule für Hörgeschädigte Schultzweg 9 „Fördergebiet Münzviertel“ (RISE)

Schlüsselprojekt: Neubebauung Grundstück ehemalige Schule für Hörgeschädigte Schultzweg 9 „Fördergebiet Münzviertel“ (RISE)

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Jurysitzung: Städtebaulicher Wettbewerb mit hochbaulichen und freiraumplanerischen Elementen: QUARTIER MÜNZSTRASSE

Sehr geehrte Damen und Herren des Preisgerichts,

die mir hier als Sachverständiger in Vertretung des Quartiersbeirats Münzviertel vorgelegten städtebaulichen Entwürfe sind hässlich und dies nicht wegen ihrer jeweiligen unter-schiedlichen Formfindung wie z.B.: zur Fassadengestaltung, Freiraumplanung, Gebäude-tiefen, Feuerwehrzufahrten etc.

– Nein -, sie sind hässlich als Teil eines Ganzes und dieses Ganze stellt sich ignorant quer zum Identitätsverständnis des Gemeinwesen Münzviertel, welches sich aus den empha-tischen und schöpferischen Potentialen der Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels speist und eng vernetzt sind mit den zahlreichen sozialen Einrichtungen vor Ort.

Seit über zehn Jahre beschäftigen wir uns im Viertel mit der Neubebauung des Schul-geländes: 2005 während der Erstellung des städtebaulichen Gutachtens zum Münzviertel und ab 2008 als Schlüsselprojekt im Rahmen des „Themengebiet Münzviertel“ – später „Fördergebiet Münzviertel“ (RISE).

2011 erarbeiteten wir über viele Monate im Vertrauen auf die Leitzielen des RISE-Programms: Transparenz, Partizipation und kollektiver Entscheidungsfindung im Rahmen des studentischen Wettbewerbs „Testprägung“ HCU – 1. Preis: „umgemünzt“ – unsere quartiers-bezogenen Eckdaten für die Bebauung des Schulgeländes:

Baugemeinschaften in Genossenschaftsform, sozialer Mietwohnungsbau mit variablen Wohnungsgrößen: für Familien, für Wohngemeinschaften, für generationsübergreifendes Wohnen, wie sich dieses unsere Nachbarn mit migrantischem Hintergrund wünschen und mittendrin: Wohnungen für Asylbewerbende, betreutes Wohnen für jugendliche Obdach-lose, Atelierräume, Food-Coop, KITA alles dicht und inspirierend beieinander, ein zukünf-tiges Münzviertel voller Empathie und Solidarität mit den anderen.

Doch im Zentrum dieses Mit- und Beieinander steht weiterhin unser Widerstand gegen den Verkauf des städtischen Grundstücks an Privatinvestoren. Denn mit einem solchen Verkauf in unmittelbarer Nachbarschaft zum sozialen Brennpunkt Hauptbahnhof verzichtet die Stadt zukünftig auf ihre städtebauliche wie soziale Gestaltungsmacht.

Deshalb fordern wir, wie von uns seit 2008 in den politischen Raum gestellt, den Verkauf des Schulgeländes in Erbpacht an gemeinnützige Baugenossenschaften bzw. öffentliche Wohnungsbaugesellschaften. Unter den aktuellen Ereignissen der fortwährenden Flüchtlingsströme eine überaus weitsichtige Forderung.

Stattdessen hinter unserem Rücken: Profiorientiert, architektonische Monotonie für ewig in Beton gegossen, Wohnungszuschnitte im Schuhkartonformat einfallslos aneinandergereiht im rechten Winkel: studentisches Wohnen, Wohnen für Auszubildende, Servicewohnen für Senioren und Kleinstwohnungen für Alleinerziehende mit Kind. Ein Ort ohne Lücken, Brüche oder Nischen. Hier gibt es kein Verweilen, im Monatsrhytmus ziehen Menschen ein und aus. Was auf der Strecke bleibt ist ein buntes, heterogenes Gemeinwesen in dem sich der Mensch in seinem nachbarschaftlichen Für- und Miteinander geborgen fühlt und Verantwortung übernimmt für die Gestaltung des Ganzen.

Die vorgelegten Entwürfe sind hässlich und in dem Wissen, mich hier von Ihnen als Zeuge einer partizipativen Bürgerbeteiligung missbrauchen zulassen, bin ich nicht mehr bereit, mich weiterhin in der Beurteilung der einzelnen Entwürfe mit ihren jeweiligen Formfin-dungen wie Fassadengestaltung, Freiraumplanung, Gebäudetiefen, etc. zu verlieren. Des-halb möchte ich mich an dieser Stelle von Ihnen verabschieden.

Günter Westphal 30.11.15

Kleiner Nachtrag über das Schöne

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Die aktuellen Containerreihen – 3fach gestapelt – für das Winternotprogramm 2015/16 auf dem Schulgelände sind schön. Nicht im Sinne von Formfindung, Sinnlichkeit, Anmutung und Intensität.

– Nein – sie sind pragmatisch, unfertig, temporär und poetisch. Sie verfestigen nichts, sie eröffnen Freiräume zum Reflektieren und Experimentieren, sie sind innovativ und ein Spiegelbild dessen, was das Identitätsverständnis des Gemeinwesen Münzviertel ausmacht. Sie sind brüchig, sozial gegründet und agieren von innen nach außen. Die Containerreihen – 3fach gestapelt – für das Winternotprogramm 2015/16 auf dem ehemaligen Schulgelände sind schön in Ihrem Dazwischen.

s. weiter: „Polizeiüberfall 2.9.2015 / Sie fürchten unsere Poesie“ https://www.muenzviertel.de/?p=2953

s. hierzu: http://www.abendblatt.de/hamburg/hamburg-mitte/article206751843/Privater-Bauherr-soll-das-Muenzviertel-neu-gestalten.html  4.12.15